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Gesundheit
27.04.2024
27.04.2024 16:24 Uhr

Wie viel dürfen kranke Kinder kosten?

Blick auf das Spitalareal mit dem Labor- und Forschungsgebäude im Vordergrund und dem eigentlichen Kinderspital in der Bildmitte. Rechts das «Burghölzli».
Blick auf das Spitalareal mit dem Labor- und Forschungsgebäude im Vordergrund und dem eigentlichen Kinderspital in der Bildmitte. Rechts das «Burghölzli». Bild: Visualisierung Universitäts-Kinderspital Zürich
Im Herbst soll das neue Kinderspital in Riesbach eröffnet werden, ein über 750 Millionen Franken teures «Leuchtturm­projekt». Derweil muss die Trägerschaft beim Kanton die hohle Hand machen. Was läuft schief im Schweizer Spitalwesen?

Tobias Hoffmann

Das sichtlich gezeichnete Kind blickt ­einem direkt in die Augen. Wahrscheinlich hat es Krebs. Sein Bild befindet sich auf einem Spendenaufruf, der zurzeit in Umlauf ist. Absender ist das Kinderspital.

Ist das nun gutes Timing oder nicht? Das Kinderspital steckt in grossen finanziellen Schwierigkeiten, das hat sich wohl bis in die hintersten Ecken des Kantons herumgesprochen; es hat den Kanton schon vor einem halben Jahr um Sukkurs gebeten: um die Erhöhung eines Darlehens um 100 Millionen Franken, um eine Subvention von 70 Millionen Franken für den laufenden Betrieb. Anfang April hat der Kanton dem Gesuch stattgegeben. Die Reaktionen blieben nicht aus, denn das Kinderspital ist kein Kantonsspital, wie viele meinen. Eigentümerin ist die ­Ele­onorenstiftung, die das Spital, im Volksmund fast nur «Kispi» genannt, als ­«gemeinnützige private Institution» bezeichnet. Allerdings besitzt das Kispi ­einen Leistungsauftrag der Universität für Forschung und Lehre und darf sich deshalb «Universitäts-Kinderspital» nennen.

Und das Kispi gilt als unverzichtbar: Es ist nicht nur der «einzige Anbieter hochspezialisierter pädiatrischer und kinderchirurgischer Behandlungen» im Kanton Zürich, sondern übernimmt auf über­regionaler Ebene spezifische Aufträge in besonders komplexen Fällen und Spezialgebieten. Ein Spital in privater Hand, das Staatsgarantie geniesst – das löst Misstrauen aus. Gilt hier auch «too big to fail»? Oder besser:  «too important to fail»?

Und nun muss man noch einmal die Frage nach dem Timing stellen. Denn im Quartier Riesbach geht, inmitten des sogenannten Spitalclusters Lengg, der Neubau des Kinderspitals seiner Vollendung entgegen – nach jahrzehntelangen Ver­suchen, für das aus vielen Notbehelfen zusammengeflickte Kispi in Hottingen einen modernen und betrieblich optimierten Ersatz zu finden. Nun steht es also da, das neue Kinderspital. Und was unter Umständen vor allem Stolz ausgelöst hätte, wird nun zum Skandalon: Die Architektur stammt vom berühmtesten Büro der Schweiz überhaupt, von Herzog & de Meuron. Das «Leuchtturmprojekt», wie es die Eleonorenstiftung nennt, war von Anfang an teuer. Und ist im Laufe der Jahre noch deutlich teurer geworden: rund eine Dreiviertelmilliarde Schweizer Franken. Heute sieht es so aus, als sei es das falsche Spital zur falschen Zeit. Prestige statt Funktionalität.

Ist die Luxusarchitektur schuld?

Das neue Kispi besteht aus zwei Gebäuden, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Das eigentliche Spital ist ein flacher, lang gestreckter Bau, dessen warme und freundliche Anmutung durch die Holzverkleidung erzeugt wird. In einiger Entfernung ragt ein siebengeschossiger Rundbau in die Höhe, das Gebäude für Forschung und Lehre. Ein technoider Bau in klinischem Weiss, der manche an das Guggenheim-Museum in New York erinnert, andere an ein Parkhaus. Auf jeden Fall ist es markante Architektur. Und die muss, das war für viele ausgemacht, auch überteuert sein. Zu dieser Fraktion gehört der berühmte Herzchirurg Thierry Carrel, der gegenüber dem «Tages-Anzeiger» argumentierte, die Fassade eines Spitals sei für Mitarbeitende wie Patienten sekundär. Deutlich relevanter seien die Leistungen der Ärzteschaft und der Pflegenden. Demgegenüber sagte ein an­derer Prominenter, der ehemalige Uniprofessor und Gesundheitspolitiker Felix Gutzwiller (FDP), zur «SonntagsZeitung»: «Ich kann die Kritik nicht nachvollziehen. Das sind Nebengeräusche. Das Hauptproblem liegt woanders.»

  • Menschenfreundliche Architektur: Das neue Kispi wirkt eher wie ein Kurhaus als wie ein Spital. Bild: Visualisierung Universitäts-Kinderspital Zürich
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  • Dafür vermittelt das Forschungsgebäude auf geradezu klassische Weise klinisches Ambiente. Bild: Visualisierung Universitäts-Kinderspital Zürich
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Aber wo? Wenn man im gesundheitspolitisch seit Monaten kräftig rauschenden Blätterwald spazieren geht, sieht es so aus, als sei nicht nur das Kinderspital, sondern das gesamte Gesundheitswesen schwer krank. Eine ganze Gruppe von Ärztinnen und Ärzten steht um den Patienten herum, jede/r einzelne schlägt Massnahmen vor. Manche empfehlen die sprichwörtlichen Pflästerli da und dort, andere raten zu einer Herztransplantation. Aber niemand setzt sich durch, scheint es. Oder alle nur ein bisschen.

Wer hat nicht schon alles seine Einschätzung abgegeben: CEOs von Spitälern, Chefärzte, Gesundheitspolitiker, ­Finanzfachleute … Auch die Kommentarspalten quellen über, bei manchen Ar­tikeln zählt man über 500. Es ist ein Konzert – oder eher eine Kakofonie – von ­Erklärungen, aber auch von Schuldzuweisungen. Mal wird der Kantönligeist, mal der FDP-Filz, mal die linke Staatsgläubigkeit, mal der fehlende oder zu wenig konsequente Wettbewerb, mal die ruinösen Investitionen zugunsten der Privatver­sicherten, mal die Einführung der Fallpauschalen im Jahr 2012, mal die überrissenen Preise der Pharmaindustrie, mal die Ansprüche der Patientinnen und Patienten, mal die hohen Löhne der Kaderärzte verantwortlich gemacht.

Sind wir zu verwöhnt?

Unwidersprochen scheint einzig zu sein, dass die Leistungen der Spitäler zumal im ambulanten Bereich besser entgolten werden müssten. Die Energiekosten, die Baukosten, die Löhne, alles zeigt nach oben. Warum denn nicht das Eine, Unwidersprochene jetzt sofort tun, anstatt immer neue, chancenlose Lösungsansätze hervorzukramen?

Weil das finanziell auf Dauer natürlich auch nicht aufgeht. Da scheint es am Ende einleuchtend, dass Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) die Menschen im Kanton darauf einschwören will, dass sie zu Abstrichen bereit sein müssen. Wer aber bestimmt, wer wo wie viele Abstriche machen muss? Wenn dann nur nicht das Ganze wieder von vorne beginnt …

Tobias Hoffmann/Zürich24
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