Dominique Rais
Errichtet auf den Grundfesten von Turicum, der einstigen römischen Hafenstadt an der Limmat, avancierte Zürich zu Zeiten von Huldrych Zwinglis Reformation Anfang des 16. Jahrhunderts zu einer Kleinstadt mit rund 7000 Einwohnern, wobei im Jahr 1519 rund 2000 Zürcher von der Pest dahingerafft wurden. Mit derIndustrialisierung im 19. Jahrhundert wuchs die Stadtbevölkerung um 1890 schliesslich auf etwa 28'000 Einwohner.
Drei Jahre später, am 1. Januar 1893, hatte sich Zürichs Einwohnerzahl mit der Eingemeindung der elf Vorortgemeinden Aussersihl, Enge, Fluntern, Hirslanden, Hottingen, Oberstrass, Riesbach, Unterstrass, Wiedikon, Wipkingen und Wollishofen zum Jahreswechsel mehr als vervierfacht.
Am Vortag hatte die NZZ das Ereignis auf der Frontseite prominent angekündigt. «Mit Ende des heutigen Tages, mit dem Beginn des Glockengeläutes in der heutigen Silvesternacht hat die alte Stadt Zürich aufgehört zu existieren und fällt der Vergangenheit, der Geschichte anheim. An ihre Stelle tritt das neue, grosse Zürich, ein Ereignis, das an Bedeutung jedes andere in der Geschichte der Stadt überragt», hiess es damals in der Silvester-Ausgabe der NZZ.
Widerstand gegen Eingemeindung
Von einst knapp 30'000 Einwohnern zählte die Stadt am Zürichsee neu 121'000 und wird damit über Nacht zur ersten Grossstadt der Schweiz. Der Grundstein dafür wurde bereits eineinhalb Jahre zuvor mit der kantonalen Volksabstimmung vom 9. August 1891 gelegt. Bei einer Stimmbeteiligung von 85 Prozent hatten 60 Prozent aller Stimmberechtigten der Eingemeindung zugestimmt. Am deutlichsten fiel das Ergebnis mit 99 Prozent «Ja»-Stimmen in Aussersihl aus.
Enge und Wollishofen hingegen lehnten das Vorhaben an der Urne klar ab. Wenn letztlich auch vergebens hatte Wollishofen gegen die Eingemeindung gar bis vor Bundesgericht rekurriert. Die Eingemeindung von 1893 sollte nicht die letzte bleiben. Und so tauchte das Thema schon bald wieder auf der politischen Agenda auf.
Inmitten des Wirtschaftsaufschwungs der Goldenen Zwanziger, im Jahr 1925, lancierten zwölf Zürcher Vorortsgemeinden letztlich eine Eingemeindungsinitiative, die deren Anschluss an die Grossstadt zum Ziel hatte. Zu den fusionswilligen Vororten zählten damals dieGemeinden Affoltern, Albisrieden, Altstetten, Höngg, Kilchberg, Oberengstringen, Oerlikon, Schlieren, Schwamendingen, Seebach, Witikon und Zollikon.
Im Zürcher Kantonsrat allerdings stiess die Volksinitiative auf kein Gehör und wurde abgelehnt. Wohl nicht zuletzt, weil bei den nur wenige Monate zuvor inZürich erfolgten Wahlen die Linken (SP) eine absolute Parlamentsmehrheit sowie das Stadtpräsidium erlangten und damit die Liberalen (FDP) ablösten. Zu gross war die Befürchtung der Gegner, dass ein «Ja» zur Eingemeindungsinitiative das «Rote Zürich» noch weiter stärken könnte.
Novum in der städtischen Exekutive
Als die Vorlage am 12. Mai 1929 zur Abstimmung an die Urne kam, erlitt sie jedoch Schiffbruch. Völlig vergebens waren die Bemühungen der Befürworter einer Fusion der angrenzenden Vorstadtgemeinden mit der Grossstadt dennoch nicht. Ein Dreivierteljahr später, Anfang Februar 1930, wurde ein seitens der Direktion des Innern erarbeiteter Kompromiss als Antrag für ein entsprechendes Gesetz betreffend Eingemeindung beim Zürcher Regierungsrat eingereicht.
Bei der kantonalen Abstimmung am 5. Juli 1931 wurde die mit einem Finanzausgleich gekoppelte Kompromissvorlage deutlich angenommen. 1934 fusionierten Affoltern, Albisrieden, Altstetten, Höngg, Oerlikon, Schwamendingen, Seebach und Witikon mit Zürich. Mit dem Anschluss der acht Vororte wuchs die Grossstadt abermals: in puncto Einwohnerzahl um etwa 50'000 auf 313 294 Personen und erhielt in Bezug auf ihr Gemeindegebiet, das sich von 48 auf 88 Quadratkilometer erweiterte, ihre heutige Grösse.
Ende der 1960er-Jahre, 35 Jahre nach der letzten Eingemeindung, kommt das Frauenstimmrecht nach Zürich. 1969 erst noch auf Gemeindeebene, per 1970 auch auf kantonaler Ebene. Im gleichen Jahr kommt es auch in Zürichs Exekutive zu einem Novum.
Mit Emilie Lieberherr (1924–2011), einer der führenden Persönlichkeiten im Kampf um das Frauenstimmrecht in der Schweiz, erhält erstmals eine Frau Einsitz im Zürcher Stadtrat. Sie prägte während eines Vierteljahrhunderts als Vorsteherin des Sozialamts die städtische Politik. Nach dem Rücktritt von Zürichs erster Stadträtin im Jahr 1994 sollte es jedoch noch weitere 15 Jahre dauern, bis Zürich 2009 mit Corine Mauch (62) erstmals eine Frau zur Stadtpräsidentin wählte.
Grösste Grossstadt wird noch grösser
Mit über 443'000 Einwohnern leben gegenwärtig in der Stadt Zürich so viele Menschen wie nie zuvor. Somit hat sich die städtische Bevölkerungszahl in den vergangenen 130 Jahren, seit der ersten Stadterweiterung im Jahr 1893, fast vervierfacht. Und Prognosen von Statistik Stadt Zürich zufolge soll die grösste Grossstadt der Schweiz auch in den kommenden Jahren noch grösser werden.
Das grösste Wachstumspotenzial geht gemäss Prognosen von Statistik StadtZürich vom Quartier Escher-Wyss im Kreis 5 aus, wo bis 2040 mit einem Bevölkerungswachstum um fast 43 Prozent gerechnet wird. Auch für die beiden Stadtquartiere Hirzenbach und Saatlen wird in selbigem Zeitraum ein Zuwachs der Wohnbevölkerung um 37 Prozentprognostiziert.
Zum Vergleich: Bei der Skizzierung des selbigen Szenarios zur Bevölkerungsentwicklung wird für die Innenstadt, den Kreis 1, lediglich ein Zuwachs um 1,7 Prozent erwartet. Gleichwohl: Experten zufolge soll Zürich per 2035 die Rekordmarke von einer halben Million Einwohnern durchbrechen.