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Kultur
03.02.2024
04.02.2024 14:33 Uhr

Mit 140 bpm auf Touren gebracht

Die Verwendung einer Infrarotkamera führte zu authentischen Momentaufnahmen der frühen Zürcher Technoszene.
Die Verwendung einer Infrarotkamera führte zu authentischen Momentaufnahmen der frühen Zürcher Technoszene. Bild: Rita Palanikumar
Die Technomusik, die Anfang der 1990er-Jahre in Zürich Fuss fasste, ist zu einem Markenzeichen der Stadt geworden. Eine Ausstellung in der Photobastei widmet sich ihrer Geschichte. Eine kleine Führung mit Romano Zerbini, dem Leiter der Photobastei und Kurator der Ausstellung.

Tobias Hoffmann

Der Techno hat Zürich auf Touren gebracht. Diesen Eindruck muss man haben, wenn Romano Zerbini (Jahrgang 1963) über die Stimmung in Zürich Ende der 1980er-Jahre spricht. Damals sei Zürich sehr grau und langweilig gewesen, erzählt er. «Man wurde von der Polizei abgeholt, wenn man draussen Musik hörte. Wir hatten eine Drogenszene, in der die Leute krepiert sind. Der Kreis 5 war eine Festung. Es war eine sehr belastende Zeit, obwohl kulturell viel geschah. Wenn man tanzen wollte, konnte man nicht mit Turnschuhen in einen Club, man kam nicht hinein. Die wenigen Clubs, die es gab, hatten eine Kleiderordnung.» In diese trübe Zeit brach die Technokultur ein, und innerhalb weniger Jahre entwickelte sich Zürich zu einem der Hotspots der elektronischen Tanzmusik in Europa.

Nun zeigt die Photobastei am Sihlquai bis Ende März zwei Ausstellungen, die diesem Phänomen gewidmet sind: «Techno Worlds», kuratiert vom deutschen Goethe-Institut, zeichnet die globale Entwicklung nach, «The Pulse of Techno» als Eigen­produktion der Photobastei fokussiert auf Zürich. Zerbini nimmt uns mit auf einen kleinen Rundgang durch Letztere und gibt uns anhand von zwei Fotografien und zwei legendären Drumcomputern Ein­blicke in die Technogeschichte Zürichs.

Immer wieder neu erfunden

Diese Geschichte schreibt sich im Übrigen fort: als Phänomen der Massen bei der jährlichen Street Parade und in zahlreichen Clubs mit einem ausdifferenzierten Programm, das von Goa bis Noise Techno reicht, aber auch in einer alternativen Szene, die laut Zerbini «heute noch sehr virulent und gross ist». Dabei beobachtet Zerbini ein Wiederanknüpfen bei den Anfängen: «Die Musik der Jungen hat als hervorstechendes Merkmal, dass wie damals ein sehr schneller Beat bevorzugt wird, fast 140 bpm (beats per minute), aber die Jungen binden ganz andere Elemente ein. So erfinden sie Techno wieder neu.»

Hier die vollständige Version der oben stark beschnittenen Fotografie einer Tanzszene vom Beginn der 1990er-Jahre. Bild: Rita Palanikumar

Die Unschuld des Beginns

«Die Fotografin Rita Palanikumar hat früh gemerkt, dass Techno eine Bewegung mit Zukunft ist, und sie hat sehr früh angefangen, in der Szene zu fotografieren, und zwar mit einem Infrarotfilm, das heisst, die fotografierten Leute haben nichts davon gemerkt. Das führte dazu, dass sie sehr nahe an die Leute herangehen konnte, ohne dass sie sich verstellten. So konnte sie sehr authentische Bilder machen, die den Eindruck vermitteln, als wäre man selber an Ort und Stelle. Das Bild steht für die Unschuld des Beginns. Wenn ich diese Menschen betrachte, denke ich, dass sie soeben die erste Pille gehabt haben, und die ist ein echtes Erlebnis, auch ein körperliches. Sie lassen sich in einer Art gehen, wie sie das noch nie getan haben. Es ist ein Bild aus der aktivistischen Urzeit Anfang der 1990er-Jahre, wo man eine Anlage in irgendeinen Raum in einer Industriebrache gestellt und Musik gemacht hat. Man ging von Ort zu Ort, hat immer neue Räume gesucht, wo man eine Art «freie autonome Zone» für eine Nacht geschaffen hat. Dann kamen die ersten illegalen Clubs, bis die Szene 1992 mit der Street Parade in die Öffentlichkeit gehen wollte, worauf die Repression begann. Manche haben versucht, die Clubs in die Illegalität zu führen, und sehr bald fing die Kommerzialisierung an.»

Tanzende in Tiflis: Im repressiven Klima Georgiens sind Technolokale «Safe Spaces» für die Schwulen- und Queerszene. Bild: Omar Gogichaishvili

Repression damals und heute

«Techno integriert viele Menschen, jeder kann sein, wie er ist, kann aber auch experimentieren. Und man wird in Ruhe gelassen. Man tanzt ja für sich. Deshalb hat die Schwulen- und Queerszene Techno schnell entdeckt; die Technolokale wurden für sie ein «Safe Space», ein Ort, wo man nicht bewertet wurde. Ich wollte zeigen, wie wichtig diese Locations immer noch sind. Deshalb bin ich nach Georgien gereist, in eine ehemalige Sowjetrepublik, wo sehr repressive Kräfte am Werk sind. Am Tag, als ich ankam, wurde die Pride von Gegnern überrannt und musste abgebrochen werden. Deshalb ist gerade in Tiflis der Club als «Safe Space» stark spürbar. Ich habe einen Fotografen beauftragt, das sichtbar zu machen, damit wir uns vorstellen können, wie wichtig Techno für die gesellschaftliche Entwicklung, für die liberale Wende war. Dieser Teil der Ausstellung ist der einzige, der nicht in Zürich «stattgefunden» hat, aber er widerspiegelt etwas, was in Zürich vor allem in den Anfängen besonders wichtig war. Heute kann man die damalige Situation in Zürich kaum vermitteln. Bei den Bildern aus Tiflis sieht man, dass alles sehr roh und sehr einfach ist. Die Clubs sind sehr dunkel, wie das auch bei uns damals der Fall war.»

Die erschwinglichen Drumcomputer TR-808 (1980, rechts) und TR-909 führten zu einer Demokratisierung der Musik. Bild: Tobias Hoffmann

Demokratisierung der Musik

«Die japanische Firma Roland brachte 1980 mit dem Drumcomputer TR-808 und 1983 mit dem Nachfolger TR-909 günstige Geräte auf den Markt, die sich die breite Masse leisten konnte. Die Leute haben schnell herausgefunden, wie man die Computer so manipulieren kann, dass daraus eine neue Musik entsteht. Der Ursprung des Techno liegt in der schwarzen Community der US-amerikanischen Grossstadt De­troit, die sich im Niedergang befand und unter Arbeitslosigkeit, Drogen und Kriminalität litt. Dort konnte man die Leute mit Tanzmusik für eine Nacht von der Gosse holen. Wenn man jemanden aus Detroit nach Europa eingeladen hatte, investierte dieser seine Gage zu Hause in soziale Projekte. Die Szene war sehr politisch und sehr alternativ. Es brauchte also eine technische Demokratisierung durch billige Drumcomputer und den Input aus Detroit, damit überall Technoszenen entstanden. In die Schweiz kam der Techno über den Club Tresor in Berlin. Das schwarze Gerät hier rechts, der TR-808, ist eine analoge Drum Machine, man kann damit Bass- und Snaredrum, Handclaps und Weiteres mehr generieren. Man kombiniert es mit einem Synthesizer, worauf eine automatische Synchronisierung stattfindet. Dann legt man mehrere Musikspuren übereinander, bis man einen Track hat. Diesen kann man digital speichern. Der Einstieg ist sehr einfach, man kann schnell seinen eigenen Beat machen und ist in Kürze Teil dieser Familie.»

Romano Zerbini ist Gründer und Leiter des Ausstellungshauses Photobastei am Sihlquai in Zürich. Bild: zVg

Romano Zerbini, Leiter der Photobastei Zürich

Romano Zerbini, 1963 in Zürich geboren, hat an der Universität Zürich Germanistik, Romanistik und Staatsrecht studiert und nach dem Studium eine eigene PR-­Agentur geführt. Engagements für das Tanzfestival Steps während 10 Jahren, für die Geschäftsstelle der Zürcher Festspiele unter Alexander Pereira oder für die Durchführung der Tangostadt Zürich zeichnen diese Zeit der Agentur neben vielen anderen kulturellen Engagements aus. Ab 1998 hat Zerbini während 20 Jahren federführend den Swiss Photo Award, den renommiertesten Fotopreis der Schweiz, präsentiert. 2010 eröffnete er die Photogarage in Zürich, eine Galerie für Fotografie, aus welcher in den Folgejahren die Photobastei in Zürich erwuchs. Seither leitet er diese und kuratiert Grossausstellungen an diesem Haus, darunter die Punkausstellung «RAW Power» und «Schattenreise» von HR Giger.

The Pulse Of Techno

Eine Gruppenausstellung der Photobastei mit einem Fokus auf Zürich und auf durch Techno geschaffene Räume.

Photobastei, Sihlquai 125, 8005 Zürich

3. Stock, Kabinett 

bis 31. März

www.photobastei.ch

Tobias Hoffmann/Zürich24