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Kanton Zürich
23.12.2023
23.12.2023 13:40 Uhr

Der ZFI wird – noch – unterschritten

Mit der Flugbranche geht es nach dem pandemiebedingten «Grounding» wieder steil aufwärts.
Mit der Flugbranche geht es nach dem pandemiebedingten «Grounding» wieder steil aufwärts. Bild: Lisa Maire
Der aktuelle Flughafenbericht des Kantons Zürich zeigt: 2022 waren weniger Menschen vom Fluglärm gestört als der Richtwert erlaubt. Allerdingsherrschten während dreier Monate noch Corona-Einschränkungen. Zudem nehmen die nächtlichen Flüge stärker zu als die anderen.

Roger Suter

Die guten Nachrichten zuerst: Mit der Flugbranche geht es nach dem pandemiebedingten «Grounding» wieder steil aufwärts. Und dennoch wurden weniger Menschen von Fluglärm gestört als erlaubt. Die Freude darüber dürfte aber nur von kurzer Dauer sein: Denn wenn der Flugverkehr wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht, dürfte auch der Zürcher Fluglärm-Index ZFI, mit dem die Anzahl Fluglärmgeplagter errechnet wird, wieder überschritten werden.

Der ZFI schreibt vor, dass höchstens 47 000 Personen «tagsüber stark belästigt» oder «nachts stark im Schlaf gestört» werden dürfen. 2022, auf das sich der jüngste Bericht bezieht, waren es 43 448 Personen, wie mit der Methode der Empa berechnet wurde – 26 593 tagsüber und 16 855 nachts. Dass die Zahl wie während der Pandemie deutlich unter dem Referenzwert liegt, hat damit zu tun, dass es von Januar bis März 2022 nach wie vor Reisebeschränkungen gab.

Nur vier Flüge nach Bern gemeldet

Indes stieg die Anzahl nächtlicher Flüge bereits wieder stark an, wie der jüngste Flughafenbericht des Regierungsrats im Detail darlegt: In der Zeit zwischen 23 und 23.30 Uhr, welche der Flughafen in eigener Regie für den Verspätungsabbau nutzen darf, zählte man im Berichtsjahr 2142 Flüge (2020: 321, 2021: 584). Nach 23.30 Uhr erhielten 204 verspätete Flüge eine Einzelbewilligung, die jeweils vom kantonalen Amt für Mobilität geprüft wurde (2020: 34, 2021: 71). Darunter waren 39 Ambulanz- und 3 Vermessungsflüge, 22 Kleinluftfahrzeuge und 162 Linien- oder Charterflüge. Letztere seien vorwiegend aufgrund technischer Probleme oder widriger Wetterverhältnisse bewilligt worden legt der Regierungsrat im Bericht dar. Ganze 4 Flüge wurden danach dem Bundesamt für Zivilluftfahrt als mögliche Verstösse gegen die Nachtflugordnung oder des Betriebsreglements gemeldet.

Verspätungen aus ganz Europa

Den Grund für die vielen Spätflüge ortet die Regierung einerseits in der Zunahme der Flugbewegungen nach Corona, aber auch in den Verspätungen im internationalen Flugnetz. Denn wenn Maschinen täglich und pausenlos mehrere Europa-Destinationen anfliegen, häufen sich allfällige Verspätungen an, was wiederum Anschlussflüge verzögern kann.

Skyguide-Chef Alex Bristol erläuterte an der Medienkonferenz die Komplexität des Schweizer Luftraumes, wo sich viele europäische Luftlinien kreuzen, und die Probleme, die sich daraus ergeben: «Im Westen haben wir eine Flugsicherung, welche zwar genug Fluglotsen hat, die aber öfter streiken – 50 Tage allein im laufenden Jahr.» Der Flugsicherung im Norden fehle es an Fluglotsen. Beides habe zur Folge, dass wegen mangelnder Kapazitäten in Frankreich und Deutschland mehr Flugzeuge über die Schweiz fliegen würden. Dies wiederum führe auch in Kloten zu Verspätungen und verzögerten Bewilligungen für die Benutzung dieses Luftraumes.

Zudem sei das Pistensystem in Kloten durch viele Abhängigkeiten auch im internationalen Vergleich komplex, mit Kreuzungen am Boden und in der Luft, so Bristol weiter. Um die vorhandenen Margen für einen sicheren Flugbetrieb zu erhöhen, will auch Skyguide die Komplexität verringern: Mit Pistenumrollungen und -verlängerungen, wie sie der Flughafen und die Mehrheit des Kantonsrates bauen möchte. Die Volksabstimmung darüber findet am 3. März 2024 statt.

Strategische Ziele erfüllt

Der Kanton Zürich ist nicht nur Standort des Flughafens, sondern auch Mitbesitzer (ein Drittel plus eine Aktie). Seine Eigentümerstrategie sieht der Regierungsrat im Berichtsjahr 2022 erfüllt. In Sachen globaler Erreichbarkeit (nicht nur durch Flugzeuge) liegt Zürich im europäischen Vergleich auf Rang 7 (Vorjahr 8), hinter Frankfurt, London, Amsterdam, Paris, Köln und Brüssel, aber vor München, Stuttgart und Winterthur, haben die Wirtschaftsforschenden von BAK Economics errechnet. Europaweit liegt Zürich wie im Vorjahr auf Platz 8, hinter Amsterdam, Frankfurt, Düsseldorf, Köln, Paris, Brüssel und London, aber vor München, Mailand, Stuttgart und Winterthur. Zürich sei somit der am besten erreichbare Standort der Schweiz, schreibt der Regierungsrat. Auch mit der Qualität ist er zufrieden: Die «World Airport Awards» der britischen Unternehmensberatung Skytrax sieht Zürich weltweit auf Rang 8 (2021: 9), hinter München und vor Tokio Narita), in Europa auf Platz 4.

Auch der Klimaschutz ist ein strategisches Ziel: Die Bemühungen der Flughafen Zürich AG, ihre Treibhausgasemissionen bis 2040 auf Netto-Null zu reduzieren, decke sich mit der Klimastrategie des Kantons. Das Lärmgebührenmodell, seit September 2019 in Kraft, schaffe Anreize, mit möglichst lärmgünstigen Flugzeugen und abends rechtzeitig nach Zürich zu fliegen.

Wirtschaftlich habe der Flughafen die Pandemie besser gemeistert als die Vergleichsgruppe (Kopenhagen, Frankfurt und Wien) und konnte schon 2022 wieder eine Dividende ausschütten. Die Beteiligungen im «Circle», aber auch an Flughäfen in Indien, Brasilien, Chile, Curaçao und Kolumbien würden das Klumpenrisiko vermindern; für den Kanton habe aber der Flughafen Zürich Priorität.

2017 die Schallschutzfenster, 2020 der Corona-Knick; seither steigt der ZFI aber wieder stark an. Bild: Kanton Zürich, Amt für Mobilität

«Leider setzt sich diese Tendenz auch im laufenden Jahr ungebremst fort»

Der Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Zürich SBFZ gibt zu bedenken, dass der ZFI-Wert zwar noch unter der gesetzlichen Grenze liege, aber gut doppelt so hoch wie noch im Jahr 2021. Die Zahl der im Schlaf gestörten Menschen habe sich in einem einzigen Jahr verdreifacht. «Der Grund ist: Der Flugverkehr nachts (22 bis 6 Uhr) hat rasant zugenommen; leider setzt sich diese Tendenz auch im laufenden Jahr ungebremst fort.» Es sei ohne weiteres vorauszusehen, dass bereits für das laufende Jahr eine deutliche Überschreitung des Richtwertes festgestellt werden wird. Der Kanton sei gemäss Flughafengesetz verpflichtet, rechtzeitig – also jetzt – Gegenmassnahmen zu ergreifen. «Er kann über die Vertretung im Verwaltungsrat und auch mit seinem Einfluss als Hauptaktionär dafür sorgen,

  • dass nachts keine Flugpläne mehr akzeptiert werden, die vorhersehbar nicht eingehalten werden können,
  • dass vom Flughafen nachts weniger Slots (Zeitfenster für Starts und Landungen) angeboten werden als heute, welche Verkehr und damit Lärmbelastungen zur Folge haben,
  • dass die Lärmgebühren im Sinn der Standortqualität lenkungswirksamer gestaltet werden,
  • und dass sich der Flughafen langfristig zu einem Qualitätsflughafen anstatt zu einem Massenabfertigungsgeschäft auf Kosten der Bevölkerung entwickelt.

Die Bürgerinitiative «Fair in Air» vermisst im Flughafenbericht Massnahmen gegen den Lärm, der gemäss Studien in der Flughafenregion für Erkrankungen und Hunderte Todesfälle verantwortlich ist, wo doch im Flughafengesetz eine Nachtruhe von 7 Stunden vorgegeben ist und vom Bund sogar 9  Stunden empfohlen seien.

Aus Sicht der Behördenorganisation Region Ost werden Pistenverlängerungen das Problem nicht lösen, denn die Verspätungen entstünden weltweit. Und obwohl die Zahl der Flugbewegungen das Niveau vor der Pandemie noch nicht erreicht hat, habe der Flughafen 2022 bereits wieder ähnlich viele Starts und Landungen während der Nachtsperrzeit bewilligte wie 2019. Allein im Juli dieses Jahres seien nach 23.30 Uhr 90 Flüge bewilligt worden. Eine wirkungsvolle Massnahme zur Wahrung der Nachtruhe ab 23 Uhr wäre eine konsequente Ausdünnung des Flugplans in den Abend- und Nachtstunden. Denn der derzeitige Flugplan sei nachts so dicht, dass Verspätungen vorprogrammiert sind.

Roger Suter/Zürich24