Robin Walz
Die Aufführung von vier palästinensischen Tänzerinnen und Tänzern, gemeinsam mit der Zürcher Choreografin Mirjam Sutter, wurde vom Publikum mit Standing Ovations und langem Applaus gewürdigt. Wie bei der Premiere in Bern war auch der Auftritt in der Kulturhaus Helferei am 23. November ausverkauft. Die hochemotionale Tanzperformance löste bei einigen Zuschauerinnen und Zuschauern auch Tränen aus.
Wie Widerstandskraft tanken?
Das Tanzstück «Last Thing Remaining», eine Kombination von orientalischem und zeitgenössischem Tanz, erzählt von der Lebenssituation in Palästina und den Schwierigkeiten, mit denen verschiedene Palästinenserinnen und Palästinenser zu kämpfen haben. Zudem liegt der Fokus auf der Resilienz.
Der Abend wird mit einem besonderen Einstieg eröffnet. Die Tänzerinnen und Tänzer, scheinbar in Leichensäcke eingewickelt, erstehen langsam von den Toten auf. Die Szenerie könnte nicht passender zur aktuellen Situation sein. Aus dem Gazastreifen erreichen uns täglich schreckliche Bilder von getöteten Palästinenserinnen und Palästinensern. Dennoch wurde das Stück bereits seit Monaten geplant und geübt. Sprich: Die Leichensäcke symbolisieren eine Realität, die nicht erst mit dem Kriegsausbruch begann.
Das Privileg als Schweizerin
In einer anderen Szene sind die Tänzer im Saal verteilt und zeichnen mit Kreide einen Kreis um sich. Die Kreise sollen die verschiedenen palästinensischen Enklaven zeigen, in welchen die dort wohnhaften Palästinenserinnen und Palästinenser mit unterschiedlichen Rechten und Problemen leben. Gemeinsam haben sie, dass deren Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt ist. Im Kontrast dazu Mirjam Sutter: Sie ist als Schweizerin privilegiert und kann sich mit ihrem roten Pass frei im Saal bewegen.
Die Aufführung beinhaltet noch viele weitere imposante und aussagekräftige Szenen, darunter der Versuch eines palästinensischen Häftlings, sich mit allen Kräften von den Seilen zu lösen, mit welchen er gefesselt, oder die geschmeidigen Bewegungen der Tänzerin, die den Kartonschachteln ausweicht, mit denen sie beworfen wird. Die Nachricht scheint durch das Tanzstück hindurch dieselbe zu sein: Die Unterdrückung des palästinensischen Volkes, das sich aber vehement dagegen wehrt. So auch bei der Einstiegsszene mit den Leichensäcken, wo das Auferstehen den Trotz und Widerstand der Palästinenser darstellen soll.
Was übrig bleibt
Ein weiterer roter Faden, den die Tanzaufführung verbindet, ist der Zusammenhalt. Immer wieder kommen die Tänzer zusammen, umarmen sich, rappeln sich gegenseitig auf. Unter diesem solidarischen Mantra lässt sich auch der Titel der Aufführung – «Die letzten Dinge, die übrig bleiben» – verstehen: Zusammenhalt ist, besonders in schwierigen Zeiten wie jetzt, quasi das Einzige, was dem palästinensischen Volk noch übrig bleibt.
Die Energie und die Freude für den Tanz sind deutlich spürbar. Am Ende der Performance fliessen aber bei einigen Tänzern die Tränen. Die Emotionen sind schwer kontrollierbar. Auch beim Publikum.
Von Bethlehem nach Zürich
Das Tanzstück wurde unter der Leitung der Zürcher Tänzerin, Choreografin und Pädagogin Mirjam Sutter produziert. 2022 reiste Sutter im Rahmen einer einmonatigen Residenz von Pro Helvetia nach Ramallah, wo sie begann, das Stück zu erarbeiten und die Tänzerinnen und Tänzer zu rekrutieren. Obwohl sie viele eigene Ideen mitbrachte, wurde die Performance zusammen mit den Tänzern entwickelt. Schliesslich geht es darin auch darum zu zeigen, wie das tägliche Leben der Palästinenser aussieht. «So ist das Stück entstanden. Wir haben das Hand in Hand gemacht», sagt Sutter. Anfang Oktober 2023 wurde die Tanzaufführung in Form einer Koproduktion mit dem Ramallah Contemporary Dance Festival in Bethlehem vorgetragen.
Sutter reist seit knapp 20 Jahren regelmässig nach Palästina, wo sie verschiedene Tanz- und Theatergruppen unterrichtet und künstlerische Projekte leitet. 2008 entwickelte sie im Gazastreifen ein Tanzstück, einige Monate später wurde das Palästinensergebiet von Israel bombardiert. «Dort habe ich verstanden, weshalb Kunst so wichtig ist für Menschen, die in schwierigen Situationen leben. Ein Tänzer, der Teil meines Projektes war, schrieb mir eine Nachricht, wie er sich gerade in dieser dunklen Stunde an unsere Zusammenarbeit erinnere und dies ihm eine solche Kraft und Freude gebe», sagt Sutter zu dieser Zeitung.