Maja Zivadinovic*
Monate meines Lebens habe ich damit verbracht, meinen Namen zu buchstabieren. Z wie Zürich, bla bla bla, «ic» am Schluss. Das «ic» muss ich nie erklären. «Ic» kennt man. Kennt man in «Z wie Zürich» und auch sonst überall im Land.
Dieses «ic» ist es, das mich abstempelt. Mich zum Jugo macht. Falls Sie denken, dass das nun ein Klagelied wird und ich erzähle, wie hart mich der Rassismus trifft und wie schwer ich es hatte und immer noch habe, dann irren Sie sich. Jugo sein ist das Beste, das mir passieren konnte. Jugo sein, das ist ein Geschenk, eine Bereicherung, eine Sprache mehr, die ich beherrsche, und ein Herz mehr, das in meiner Brust schlägt.
Ich bin die Tochter serbischer Einwanderer. Ich hatte das Glück, in Zürich zur Welt zu kommen. Dieses Zwinglitum, wenn Sie so wollen, wurde mir in die Wiege gelegt. Zürich ist mein Daheim. Die Langstrasse die Sündenmeile meiner Single-, Tinder- und Partyjahre.
Der Kreis 5 mein heutiges Daheim mit Freund und Sohn. Der Kreis 8 der Ort, wo ich das Handwerk des Journalismus lernte.
Dann gibts da aber noch Oerlikon, Seebach, Altstetten. Die Orte, wo sich Jugos in sogenannten Kafanas treffen, um bei überlauter Musik Cevapcici zu essen und zu viele Gläser Sliwowitz zu trinken. Das sind abgerotzte Kneipen, in denen Amateursängerinnen in viel zu knappen Kleidern die grössten Hits «vo dunne» singen und somit alle Heimweh-Jugos und ihre Kinder und Kindeskinder auf Bänke und Tische hieven, wo gemeinsam gesungen, getanzt und hemmungslos gesoffen wird. Mit Verlaub, in den Kafanas dieser Stadt habe ich die viel geileren Partys als in den hippen Zukis, Supermarkets und Dachkantinen dieser Stadt erlebt.
Dem voraus ging eine Kindheit, die unbeschwert und frei von jeglichen gutschweizerischen Regeln war. Meine Schwester und ich durften regelmässig vor dem TV Znacht essen. Jeden Tag Gemüse kochen und pünktlich um 18 Uhr servieren? Ein Albtraum für meine Jugo-Eltern, die selbst quasi Kinder waren, als sie uns bekommen haben. Wie oft hat meine Mutter alles in eine Plastiktüte gepackt, was der Kühlschrank hergab, um draussen auf dem Spielplatz Picknick zu zelebrieren. Oft hat die ganze Nachbarschaft mitgemacht. Die Nachbarschaft, das waren Italos, Türken, Albaner, Spanier, Tibeter, Mazedonier und ganz wenige Schweizer. Die waren aber nie da. Die sassen um 18 Uhr daheim am Tisch. Die Kinder durften nach dem Znacht auch nicht mehr raus. Hochsommer hin oder her. Wir spielten derweil oft bis nach 20 Uhr Räuber und Poli. Dann heim, Katzenwäsche und ab ins Bett. Wir waren happy, meine Eltern waren happy. Dass die Ufzgi hie und da zu kurz kamen, nahmen sie in Kauf. Wir hatten ja noch den ganzen Rest unseres Daseins für den Ernst des Lebens übrig. Dieser traf mich übrigens zum ersten Mal auf Lehrstellensuche.
Tatsächlich erlebte ich es zweimal am Telefon, dass mir gesagt wurde, die Stelle sei schon besetzt. Rief ich 20 Minuten später an und stellte mich als «Sonja Müller» vor, durfte ich meine Bewerbung einreichen.
Eine noch skurrilere Szene erlebte ich viele Jahre später in einem Kreisbüro. Ich war mal wieder umgezogen und musste mich neu anmelden. Auf dem Amt redete die Dame am Schalter sehr langsam mit mir. Hochdeutsch. Sie wollte wissen, warum ich so oft umziehe. Ich wollte in meinem astreinen Schweizerdeutsch wissen, warum sie fragt. «Wissen Sie», sprach sie im Schneckentempo, «Menschen, die oft umziehen, haben meist etwas zu verbergen.» Eigentlich wollte ich ihr sagen, sie könne ganz beruhigt sein, mein Drogen- und Waffenhandel laufe ausschliesslich über Serbien, entschied mich dann aber doch dagegen. Ich schenkte ihr ein Lächeln und legte ihr eine Reise nach Belgrad ans Herz. Ich erzählte ihr von spontanen Strassenpartys, von Restaurants, in denen zu knapp bekleidete Amateursängerinnen alle von den Stühlen reissen, von Hochzeiten, die drei Tage dauern, und von Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die ich so nirgends auf der Welt sonst erlebt habe. Frau Rüdisüli blieb skeptisch.
Schade. Eigentlich ist es das Beste, das man leben und erleben darf. In Zürich leben, in Belgrad ausflippen. Sag ich Ihnen, ich, Maja Z wie Zürich.
*Maja Zivadinovic (Jahrgang 1979) ist gelernte Coiffeuse. Weil sie den Job nicht mochte, landete sie in einem Callcenter. Später bereiste sie als Reiseleiterin die Türkei, bevor sie ein Nebenjöbbli am Empfang von TeleZüri annahm. Den fand sie so toll, dass sie den Quereinstieg in den Journalismus wagte. Mit Erfolg. Heute ist Maja freischaffende Journalistin, Kolumnistin (u. a. «Tagblatt der Stadt Zürich») und Podcasterin beim SRF (Zivadiliring, zusammen mit Yvonne Eisenring und Gülsha Adilji). Der Text stammt aus dem Buch «Zürich in 100 Geschichten», das eben erschienen ist.