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Kultur
28.09.2023
29.09.2023 17:27 Uhr

«Ich, die Zwinglic»

Immer direkt und ehrlich: Maja Zivadinovic. Hier posiert sie genüsslich beim «Baur au Lac».
Immer direkt und ehrlich: Maja Zivadinovic. Hier posiert sie genüsslich beim «Baur au Lac». Bild: zvg/Paolo Dutto
Maja Zivadinovic ist in einem Plattenbau-Viertel aufgewachsen. Sie ist die Tochter serbischer Einwanderer und eine der unterhaltsamsten Podcasterinnen im Land. Beklagt sie sich über ihr Secondo-Schicksal? Kein bisschen. Sie findet es grossartig, eine Jugo-Kindheit erlebt zu haben.

Maja Zivadinovic*

Monate meines Lebens habe ich damit verbracht, meinen Namen zu buchstabieren. Z wie Zürich, bla bla bla, «ic» am Schluss. Das «ic» muss ich nie erklären. «Ic» kennt man. Kennt man in «Z wie Zürich» und auch sonst überall im Land.

Dieses «ic» ist es, das mich abstempelt. Mich zum Jugo macht. Falls Sie denken, dass das nun ein Klagelied wird und ich erzähle, wie hart mich der Rassismus trifft und wie schwer ich es hatte und immer noch habe, dann irren Sie sich. Jugo sein ist das Beste, das mir passieren konnte. Jugo sein, das ist ein Geschenk, eine Bereicherung, eine Sprache mehr, die ich beherrsche, und ein Herz mehr, das in meiner Brust schlägt.

Ich bin die Tochter serbischer Einwanderer. Ich hatte das Glück, in Zürich zur Welt zu kommen. Dieses Zwinglitum, wenn Sie so wollen, wurde mir in die Wiege gelegt. Zürich ist mein Daheim. Die Langstrasse die Sündenmeile meiner Single-, Tinder- und Partyjahre.

Der Kreis 5 mein heutiges Daheim mit Freund und Sohn. Der Kreis 8 der Ort, wo ich das Handwerk des Journalismus lernte.

Dann gibts da aber noch Oerlikon, Seebach, Altstetten. Die Orte, wo sich Jugos in sogenannten Kafanas treffen, um bei überlauter Musik Cevapcici zu essen und zu viele Gläser Sliwowitz zu trinken. Das sind abgerotzte Kneipen, in denen Amateursängerinnen in viel zu knappen Kleidern die grössten Hits «vo dunne» singen und somit alle Heimweh-Jugos und ihre Kinder und Kindeskinder auf Bänke und Tische hieven, wo gemeinsam gesungen, getanzt und hemmungslos gesoffen wird. Mit Verlaub, in den Kafanas dieser Stadt habe ich die viel geileren Partys als in den hippen Zukis, Supermarkets und Dachkantinen dieser Stadt erlebt.

Dem voraus ging eine Kindheit, die unbeschwert und frei von jeglichen gutschweizerischen Regeln war. Meine Schwester und ich durften regelmässig vor dem TV Znacht essen. Jeden Tag Gemüse kochen und pünktlich um 18 Uhr servieren? Ein Albtraum für meine Jugo-Eltern, die selbst quasi Kinder waren, als sie uns bekommen haben. Wie oft hat meine Mutter alles in eine Plastiktüte gepackt, was der Kühlschrank hergab, um draussen auf dem Spielplatz Picknick zu zelebrieren. Oft hat die ganze Nachbarschaft mitgemacht. Die Nachbarschaft, das waren Italos, Türken, Albaner, Spanier, Tibeter, Mazedonier und ganz wenige Schweizer. Die waren aber nie da. Die sassen um 18 Uhr daheim am Tisch. Die Kinder durften nach dem Znacht auch nicht mehr raus. Hochsommer hin oder her. Wir spielten derweil oft bis nach 20 Uhr Räuber und Poli. Dann heim, Katzenwäsche und ab ins Bett. Wir waren happy, meine Eltern waren happy. Dass die Ufzgi hie und da zu kurz kamen, nahmen sie in Kauf. Wir hatten ja noch den ganzen Rest unseres Daseins für den Ernst des Lebens übrig. Dieser traf mich übrigens zum ersten Mal auf Lehrstellensuche.

Tatsächlich erlebte ich es zweimal am Telefon, dass mir gesagt wurde, die Stelle sei schon besetzt. Rief ich 20 Minuten später an und stellte mich als «Sonja Müller» vor, durfte ich meine Bewerbung einreichen.

Eine noch skurrilere Szene erlebte ich viele Jahre später in einem Kreisbüro. Ich war mal wieder umgezogen und musste mich neu anmelden. Auf dem Amt redete die Dame am Schalter sehr langsam mit mir. Hochdeutsch. Sie wollte wissen, warum ich so oft umziehe. Ich wollte in meinem astreinen Schweizerdeutsch wissen, warum sie fragt. «Wissen Sie», sprach sie im Schneckentempo, «Menschen, die oft umziehen, haben meist etwas zu verbergen.» Eigentlich wollte ich ihr sagen, sie könne ganz beruhigt sein, mein Drogen- und Waffenhandel laufe ausschliesslich über Serbien, entschied mich dann aber doch dagegen. Ich schenkte ihr ein Lächeln und legte ihr eine Reise nach Belgrad ans Herz. Ich erzählte ihr von spontanen Strassenpartys, von Restaurants, in denen zu knapp bekleidete Amateursängerinnen alle von den Stühlen reissen, von Hochzeiten, die drei Tage dauern, und von Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die ich so nirgends auf der Welt sonst erlebt habe. Frau Rüdisüli blieb skeptisch.

Schade. Eigentlich ist es das Beste, das man leben und erleben darf. In Zürich leben, in Belgrad ausflippen. Sag ich Ihnen, ich, Maja Z wie Zürich.

*Maja Zivadinovic (Jahrgang 1979) ist gelernte Coiffeuse. Weil sie den Job nicht mochte, landete sie in einem Callcenter. Später bereiste sie als Reiseleiterin die Türkei, bevor sie ein Nebenjöbbli am Empfang von TeleZüri annahm. Den fand sie so toll, dass sie den Quereinstieg in den Journalismus wagte. Mit Erfolg. Heute ist Maja freischaffende Journalistin, Kolumnistin (u. a. «Tagblatt der Stadt Zürich») und Podcasterin beim SRF (Zivadiliring, zusammen mit Yvonne Eisenring und Gülsha Adilji). Der Text stammt aus dem Buch «Zürich in 100 Geschichten», das eben erschienen ist.

Nachgefragt: «Es ist wie bei den eigenen Kindern»

Interview: Lorenz Steinmann

Peter Röthlisberger, Ihr neustes Buch ist eigentlich eine Serie. Angefangen hat es mit «Arosa in 100 Geschichten». Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Der frühere Direktor von Arosa Tourismus, Pascal Jenny, frage mich, ob wir ein Buch über Arosa schreiben würden. Roland Grüter, unser Partner bei der Chefredaktion GmbH, hatte die Idee mit den 100 Geschichten. Mit dem Sujet Arosa setzten wir sie zum ersten Mal um. Zwei Jahre später folgte «Graubünden in 100 Geschichten». Und nach diesen beiden erfolgreichen Tests haben wir uns an Zürich herangewagt.

Die Bücher sind wohl darum so erfolgreich, weil bei allen Themen jeweils die bekanntesten Köpfe Texte beitragen. Offensichtlich hat dies die Autorinnen und Autoren nicht abgeschreckt, dass Sie so lange beim «Blick», respektive beim «Blick am Abend» gearbeitet haben?
Im Gegenteil! Alle wissen, dass man beim Boulevard lernt, die Menschen zu unterhalten, Komplexität zu reduzieren und die Bilder sprechen zu lassen. In der Branche hat der Boulevard als einer von vielen journalistischen Ausdrucksformen einen guten Ruf. Und als Historiker stehe ich ja auch für eine Verlässlichkeit bei den langen Strecken.

Welches ist Ihre Lieblingsgeschichte im neuen Buch?
Es wie bei den eigenen Kindern. Jedes hat seinen eigenen Charakter, seine Stärken und Schwächen. Ich liebe sie alle. Aber stilistisch gefällt mir Margit Sprechers Porträt von Harald Nägeli schon ausserordentlich gut.

Ihre Firma mit dem lustigen Namen «Chefredaktion» ist am Stauffacher, Sie wohnen – als gebürtiger Churer – schon seit dem Studium in Zürich. Wen kennen Sie eigentlich nicht in Zürich?
Unsere Firma heisst so, weil ich rekordlang Chefredaktor bei der «Blick»-Gruppe war, also neun Jahre. Nach 35  Jahren Journalismus bei TeleZüri, «Weltwoche» und Ringier kommen schon sehr viele Gesichter und grossartige Begegnungen zusammen. Das ist etwas für neugierige Menschen wie mich.  

Zur Person: Peter Röthlisberger (55) war (u.a.) Chefredaktor des Blick und Gründer von Blick am Abend mit Büro an der Dufourstrasse. Er wohnt mit seiner Familie in Hottingen.

Maja Zivadinovic