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Kultur
03.04.2023
30.03.2023 14:30 Uhr

Junge Talente mit grossen Stimmen

Nach dem letzten Lied bekommt die glückliche, aber erschöpfte Gruppe einen tosenden Applaus vom Publikum.
Nach dem letzten Lied bekommt die glückliche, aber erschöpfte Gruppe einen tosenden Applaus vom Publikum. Bild: Monika Abdel Meseh
Nach der achtmonatigen Probenzeit fanden anfangs März die Aufführungen des Musicals «Julia ohni Romeo?» im reformierten Kirchgemeindehaus Höngg statt. Ein Highlight stellte dabei das Galadinner zur Feier des 25. Projekts dar, bei dem die Musicaltalente ihre Zuschauer verzaubern konnten.

Monika Abdel Meseh

Nun war es endlich so weit. Die jungen Talente des Musicalprojekts standen auf der Bühne und zeigten eine neue, manche würden sogar sagen verbesserte Version der klassischen Liebestragödie William Shakespeares. Wer kennt sie nicht, die Geschichte von «Romeo und Julia»? Doch was wäre eigentlich passiert, wenn Julia sich am Schluss des Stücks nicht das Leben genommen hätte, sondern ihren eigenen Weg eingeschlagen hätte? Diese Frage will Shakespeares Frau Anne Hathaway im Stück beantworten, ein Stück voller unerwarteter Wendungen, Witz, Charme und mitreissender Hits, so steht es zumindest im Programmheft des Vereins. Davon muss sich das Publikum bei der Galavorstellung aber noch selbst überzeugen.

Wie alles begann

Die Gäste, die sich eben noch im Eingangsbereich bei einer Tasse Kaffee und etwas Süssem unterhalten haben, werden durch eine kurze Begrüssung der Vereinspräsidentin Nicole Meier in den Aufführungsraum gebeten. Im Saal stehen die Stühle nicht typisch in einer Reihe vor der Bühne, sondern sind an den Tischen im Raum verteilt. Besteck, Weingläser und Getränke stehen schon schön angerichtet vor jedem Platz. Kurz darauf werden die regen Gespräche der Gäste durch das Ausschalten der Lichter unterbrochen und alle beobachten, wie sich der Vorhang langsam öffnet und die grosse Bühne zum Vorschein kommt.

Eine einfache Kulisse ist darauf zu sehen. In den zwei Ecken stehen jeweils zwei Bühnenbilder, die dem Publikum einen Eindruck geben, wo das Stück spielt. Mitten auf der Bühne liegt Julia still auf einer Bank, auf dem Boden neben ihr ist der verstorbene Romeo zu sehen. William Shakespeare und seine Frau Anne Hathaway tauchen aus dem Publikum auf und reden über Williams soeben fertiggestellte Tragödie, bis auch sie auf der Bühne stehen. Anne ist gar nicht einverstanden mit dem tragischen Ende und überzeugt ihren Mann, der Geschichte gemeinsam ein neues Ende zu geben. Ihrer Meinung nach kann Julia auch ohne Romeo weiterleben und ihren eigenen Weg gehen, sie sei ja erst 13, scherzt sie. Shakespeare ist nicht überzeugt, aber stimmt trotzdem dem Wunsch seiner Frau zu. Julia stirbt also nicht und findet sich bei Romeos Beerdigung wieder. Doch nicht nur sie trauert um ihren lieben Mann, sondern auch etliche seiner Exfreundinnen weinen um den Verlust. Julia ist geschockt und beschwert sich bei May, im Stück als nicht-binäre Figur eingeführt.

Auch April (eigentlich Anne, die sich selbst ins Stück geschrieben hat) und Julias Amme Angélique versuchen, ihr Trost zu spenden, und schlagen eine Reise nach Paris vor. Dort erwarten die Freunde noch mehr Wendungen, die Julia helfen ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Und so wird aus Julia und Romeo die Geschichte von Julia, May, April und Angé-lique, eine Geschichte über Freundschaft, Liebe, Zusammenhalt und die Frage nach dem Sein. «Wer bin ich», «was will ich», das fragen sich nämlich alle Figuren des Stücks.

Gesungene Gesellschaftskritik

Traditionelle Geschlechterrollen werden in diesem Stück hinterfragt. Die Figuren sollen das machen, was sie für sich selbst als richtig ansehen, und nicht nur den Normen der Gesellschaft folgen. Julia soll nicht wieder heiraten, weil sie muss, da sie ja sonst als «entehrte Frau» ins Kloster geschickt wird, sondern höchstens, weil sie will. Das Musical will also darauf aufmerksam machen, dass eine Frau ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen kann und nicht nur für einen Mann lebt, ganz im Sinne der aktuellen Women`s Em-powerment-Bewegung. Frauen sollen ermutigt werden, ihren eigenen Weg zu gehen. Dies wird auch durch die starke Stimme der Hauptdarstellerin betont, als sie am Schluss «I want it that way» singt.

Auch Shakespeares Frau Anne, die in dieser Liebesgeschichte ihre eigene Ehe hintersinnt, erlangt eine Erleuchtung und erkennt, dass auch sie nicht unbedingt im Schatten ihres Mannes leben muss. Zudem wird durch die Einführung einer geschlechterunspezifischen Figur ein weiteres aktuelles Thema aufgegriffen. May weiss, dass sie körperlich ein Mädchen ist, aber fühlt sich dennoch verloren. «I`m not a girl, not yet a woman» singt sie, während sie Julia von ihrem Kummer erzählt. Dabei wartet May nicht auf irgendeine Erklärung, was ihre Identität betrifft, sondern hofft nur auf Akzeptanz und den Trost ihrer besten Freundin. Denn auch dies ist ein Weg, den sie selbst gehen muss. Sie erkennt, dass sie sich nicht von anderen sagen lassen muss, wer sie ist, beziehungsweise wer sie sein soll. 

Aber nicht nur die Frauenrollen erlangen Erkenntnis über ihre Persönlichkeit, sondern auch ihre männlichen Gegenspieler. François, den Julia später heiraten will, um aus ihrer Lage zu entkommen, erkennt, dass auch er das Recht hat, eigene Entscheidungen zu treffen und nicht nur den Befehlen seines Vaters folgen muss. Selbst Romeo, der auf wundersame Weise aus den Toten wiederaufersteht, sieht ein, dass er rein aus kultureller Norm so schnell geheiratet und damit Julia in eine missliche Situation gebracht hat. Und so entscheiden die beiden Liebenden, ihrer Beziehung doch noch einmal eine Chance zu geben, bei einem «richtigen» ersten Date.

Standing Ovation

Die Atmosphäre im Saal ist mit Begeisterung erfüllt. Die Höhen und Tiefen des Stücks haben das Publikum gepackt. Aber nicht nur die dramatischen Szenen sind gut angekommen, sondern auch die lustigen Sprüche und die Wortwitze, sie haben dem Stück Abwechslung gegeben und die Zuschauer und Zuschauerinnen bei Laune gehalten. Schlichtweg ein Meisterwerk. Das bezeugen auch mehrere Gäste. «Ich hatte so eine Gänsehaut, als May gesungen hat», erzählt eine begeisterte Zuschauerin. Die Kostüme, die sowohl altmodisch als auch modern waren, haben perfekt zu der Geschichte gepasst. Auch die Lieder, bei welchen manchmal der Text so geändert wurde, dass er zur Handlung passt, und die Choreografien haben eine heitere Stimmung verbreitet und die Gäste mitgerissen.

Als das letzte Lied auf der Bühne beginnt, klatscht das ganze Publikum mit, einige fangen sogar an, mit zu tanzen oder zu singen. Am Ende des Stücks angelangt, bricht ein tosender Applaus aus und die Leute stehen für die talentierten Darstellenden auf, während sich diese auf der Bühne verbeugen. Man kann gespannt sein, was noch alles für Projekte kommen, denn eines ist sicher, der Verein hat eine vielversprechende Zukunft.

Monika Abdel Meseh