Dominique Rais
Winter 1922. Fünf Jahre schon dauern die Grabungen des britischen Archäologen Howard Carter (1874–1939) im Tal der Könige in Ägypten an. Die finanziellen Mittel sind nahezu erschöpft. Der britische Aristokrat und Finanzier Lord Carnarvon (1866–1923), der zu diesem Zeitpunkt die Grabungslizenz für das Tal der Könige innehält, ist aufgrund des ausbleibenden Erfolgs nicht länger gewillt, die dortigen Grabungen zu subventionieren. Er beschliesst daher, seine finanzielle Unterstützung nach der laufenden Grabungssaison zu beenden.
Nach Jahren der intensiven Suche gelingt Carter am 4. November 1922 dann aber der langersehnte Durchbruch. Der Archäologe stösst bei seinen Grabungen auf eine versiegelte Tür. Und legt damit den Zugang zur Grabkammer eines bis dahin unbekannten Pharaos frei. Seine Entdeckung: ein Sensationsfund. In einem Telegramm an Lord Carnarvon schreibt er tags darauf: «Endlich habe ich eine wunderbare Entdeckung im Tal gemacht. Ein prächtiges Grab mit intakten Siegeln ... Gratulation.»
Noch im gleichen Monat öffnet Howard Carter das Grab des heute weltbekannten Kindspharaos Tutanchamun (†19). «Überall der Glanz von Gold», so Carter, als er am späten Nachmittag des 26. November 1922 die Vorkammer betritt. Allein in dieser Kammer befinden sich an die 700 Objekte – vom Thron des Pharaos, sechs Streitwagen und einem umfangreichen Waffenarsenal bis hin zu drei goldenen mit Tierköpfen verzierten Ritualbetten, Schmuck und Kleidung sowie Dutzenden weissen, mit Lebensmitteln gefüllten Tonbehältnissen, die dem Pharao als Proviant für die Reise ins Jenseits dienen sollten. Der noch verschlossene Zugang zur eigentlichen Grabkammer wird von zwei königlichen Wächterfiguren beschützt. Unter dem Titel «Ein ägyptischer Schatz – grosser Fund in Theben – die lange Suche von Lord Carnarvon» erschien damals in der britischen Zeitung «The Times» der erste Pressebericht über den Jahrhundertfund.
«Meine Arbeit gleicht immer wieder aufs Neue einem Abenteuer»
Die Entdeckung der Grabkammer «KV62», wie Tutanchamuns letzte Ruhestätte im Tal der Könige von Experten genannt wird, löste eine weltweite Renaissance der Archäologie aus. Menschen pilgerten in Scharen nach Luxor, um dabei zu sein, als die wertvollen Schätze nach und nach aus der Grabkammer zu Tage gefördert wurden. Ein Jahrhundert nach Tutanchamuns Entdeckung ist das Interesse am Kindspharao, der im Alter von neun Jahren den Thron bestieg und von 1336 bis 1327 v. Chr. über Ägypten herrschte, ungebrochen.
Auch auf den Zürcher Mumien-Forscher Frank Rühli (50), dessen Arbeit sich vorallem auf das alte Ägypten fokussiert, übt der damalige Herrscher und die einstige altägyptische Hochkultur seit seiner Kindheit eine Faszination aus. «Das alte Ägypten verfügt über eine sehr gut dokumentierte und extrem reichhaltige Kultur, die Europa und damit auch den Rest der Welt geprägt hat», sagt Frank Rühli, Leiter des Instituts für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich, im Gespräch mit Lokalinfo. In den vergangenen 18 Jahren war er gut drei Dutzend Mal im Land der Pharaonen – zuletzt diesen Sommer.
«Ich bin ein Mediziner, der zusammen mit Archäologen versucht die Geheimnisse der Vergangenheit zu enträtseln.»
Als Paläopathologe hat er bei Ausgrabungen auch schon selbst mitangepackt. «Meine Arbeit gleicht immer wieder aufs Neue einem Abenteuer, aus technischen wie auch aus sprachlichen und wissenschaftlichen Gründen. Ich bin ein Mediziner, der zusammen mit Archäologen versucht, die Geheimnisse der Vergangenheit zu enträtseln. Um die Todesursache oder die Verwandtschaftsverhältnisse unserer Patienten, die vor TausendenJahren starben, zu ergründen, wenden wir modernste Technik an», sagt Rühli, der sich selbst als eine Art «wissenschaftlichen Indiana Jones» sieht.